Die Welt in der Tasche. Expeditionen ins Ungewisse
Reisebiografien und eine Suche nach dem Glücklichen Arabien
SO 25.04.2021 - SO 03.10.2021
Ausstellung
Auf der imaginären Landkarte der unendlichen Möglichkeiten sind sie seit Jahrhunderten unterwegs: Autorinnen und Autoren, die in der Fremde nach neuer Inspiration suchen, ihren Erlebnishunger stillen wollen und neue Horizonte ins Visier nehmen - letztlich aber auf der Suche nach sich selbst sind, ihrem eigenen, vielleicht unerfüllten Ich. Schon der Kartäusermönch Werner Rolevinck beschrieb in seinem "Buch zum Lobe Westfalens" (1474) in bester PR-Manier die Großtaten der "Westfälinger" in aller Welt, denen es hierzulande nachzueifern gelte. Im 17. Jahrhundert unternahm der Lemgoer Arzt Engelbert Kaempfer waghalsigste Expedition, um dem Geheimnis Japans auf die Spur zu kommen. Im 18. Jahrhundert wollte Anton Mathias Sprickmann, Westfalens erster Belletristik, beflügelt von exotischen Südseeschilderungen, bis nach Tahiti auswandern. Die Droste war, wie sie in einem Brief schrieb, keine Augenblick mit ihren Gedanken zu Hause und plagte sich mit einer unerfüllten "Sehnsucht in die Ferne". Vertreterinnen und Vertreter der Romantik und nachfolgende Generationen zog es ins "Land wo die Zitronen blühen", nach Italien, um dort die Schönheit antike Stätten zu bewundern und ein vermeintlich freieres Leben zu führen. Die Errungenschaften der Technik machten dann seit Mitte des 19. Jahrhunderts den unendlichen Reisestrapazen ein Ende. Mit der Eisenbahn, komfortablen Postkutschen, touristischen Rheindampfern und später mit dem Auto wurde Reisen zum Kinderspiel, auch für weniger gut Betuchte. Nun konnten auch die "Normalos" auf eigene Faust nachprüfen, ob das, was ihnen die Schriftstellerinnen und Schriftsteller so blumig vorgegaukelt hatten, auch den Tatsachen entsprach. Und da sind schließlich noch die Abenteurer, die sich einfach nicht domestizieren ließen und denen kein Weg zu weit, keine Weltgegend zu entlegen, kein Klima zu extrem, kein Berg zu hoch und kein Ozean zu tief war.
Warum aber wollte, fragt man sich, jeder Mann/jede Frau in die Ferne schweifen, wo das Gute doch so naheliegt, vor der eigenen Haustür sozusagen?
Die Suche nach dem Anderen, die Faszination des Fremden, zieht sich wie ein roter Faden durch die Literaturgeschichte, auch die westfälische. An ein solches Panorama dockt das Projekt "Die Welt in der Tasche" an. Es markiert wie mit Stecknadeln auf Internet-Reiseportalen jene Sehnsuchtsorte, die die Ferne gleichsam zu magischen Orten werden ließen, von der Arktis bis ins tiefste Afrika, von den Steppen Asiens bis ins an die kalifornische Westküste. Immer ist Westfalen/Europa der Ausgangspunkt und immer führte der Weg zurück in die Heimat, die, auf der Grundlage neu gesammelter Erfahrungen, sozialhistorisch und mentalitätsgeschichtlich neu, bewusster wahrgenommen, neu "gelesen" wird.
Das Projekt "Die Welt in der Tasche" stellt 29 Reisebiografien vor. Es spürt Motivationen nach, sammelt Lust- und Frusterlebnisse - bis hin zum Stoßseufzer: "Ach, wie schön ist es doch, wieder zu Hause zu sein, wäre ich doch lieber gleich daheim geblieben!"
Eine eigene Abteilung bilden die Reisen des aktuellen Droste-Preisträgers Michael Roes. In seinem aktuellen Essayband "Melancholie des Reisens" stellt er die These auf, dass der träge und verwöhnte moderne Mensch nur durch radikale Fremderfahrung zu sich selbst finden könne. Roes hat bisher 13 Romane geschrieben und fast alle spielen in der Ferne: in der saudischen Wüste, Marokko, Algerien, Mali, am Mississippi, in Afghanistan, um nur einige Ziele zu nennen. Alle Handlungsorte hat er zuvor ausgiebig bereist, um seine Geschichten so lebensecht und körperlich wie möglich erzählen zu können. Zu sehen sind Filme, Fotos und natürlich Texte von unterwegs.
Ein Ausstellungsprojekt der Literaturkommission für Westfalen und des Kulturguts Haus Nottbeck im Rahmen von europa:westfalen – literaturfestival [lila we:] 2021, gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, die LWL-Kulturstiftung und den Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Idee, Konzept: Walter Gödden
Ausstellungsgestaltung: Jeremias H. Vondrlik